15.10.2022. „Wie gehst du damit um, wenn du gestern noch eine medizinische Reportage lektoriert hast und am nächsten Tag eine Produktbroschüre auf dem Schreibtisch hast?“, fragte mich neulich eine Kollegin, die als Verlagslektorin längerfristige belletristische Projekte begleitet.
Zunächst kommt es auf das Gebiet an. Ich muss mich ohne jedes Fremdeln auf einen Produkt- oder Wirtschaftsbereich einlassen können; Erfahrung ist dabei ein wichtiger Aspekt. Kulturpolitische, medizinische, technische, linguistische, touristische Themen beispielsweise liegen mir seit Jahrzehnten näher als etwa das Storytelling der Mode- und Schmuckwelt. Im Vergleich zu der Arbeit mit Verlagen müssen Lektor:innen bei Produkt- oder Imagebroschüren die Projektziele sehr rasch erfassen. Nur selten stehen sie in direktem Kontakt mit den Autor:innen oder Werbetexter:innen, sondern mit der vermittelnden Agentur, hier im günstigen Fall mit gut auf die Textansprüche vorbereiteten Projektmanager:innen.
Als Lektor stelle ich Fragen zur Zielgruppe, Intention und zum Wording, inwieweit stilistisch und inhaltlich in die Texte eingegriffen werden soll, ob es einen Styleguide für die formale Gestaltung (Überschriften, Absätze, Fettsatz, Aufzählungen etc.) gibt. Außerdem muss ich in der Lage sein, ein Dokument querzulesen, um die Textqualität und damit die Bearbeitungszeit einschätzen zu können. (Werbe-)Agenturen arbeiten auch nicht in erster Linie mit dem Anspruch, dem Duden gerecht werden zu wollen. Werbung und Informationen sollen aufmerksamkeitsstark sein. Deshalb heben sonst unübliche Bindestriche hervor („unser Selbst-Verständnis“), fallen Neologismen auf (Brexit, chillen, tindern), fordern verquere Syntax, beabsichtigte Schreibfehler und Wortspielereien zum nochmaligen Hinschauen/-hören auf: „Da werden Sie geholfen“ (Slogan der Telefonauskunft), „Natürlich Vrisch“ (Brauerei Veltins), „Corpus für alle Delicti“ (Mülleimerbeschriftigung der Berliner Stadtreinigung). Innerhalb einer Publikation muss selbstverständlich darauf geachtet werden, dass die eingesetzten Mittel einheitlich verwendet werden und sonst weder Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung noch das Layout oder Formatfehler vom Kampagnenziel ablenken.
Lektorat Oliver Krull