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Lektorate in anderen Sprachen

März 2018. Von einem Londoner Kollegen bin ich Anfang dieses Jahres um Hilfe beim Lektorat eines in einem englischen Dossier eingebetteten deutschen Zitats gebeten worden. Bei dieser Gelegenheit haben wir wie so oft die Eigentümlichkeiten beider Sprachen festgestellt. Immer wieder Felder exemplarischen Austausches sind der erfinderische deutsche Satzbau und der Reichtum des englischen Wortschatzes. Als Beispiel fiel mir ein Satz aus dem dritten Band von Robert Harris’ Cicero-Trilogie ein, die ich zu der Zeit gerade beendete: „A wind got up, stirring the sea into steep waves, and our little boat seemed to rise almost to the perpendicular, only to crash down again, bow first, and saturate us with salt water.“1 In der deutschen Übersetzung werden daraus zwei Sätze: „Aufkommender Wind wühlte die See auf, steile Wellen türmten sich auf. Unser kleines Boot schien senkrecht in die Höhe zu steigen, um dann mit dem Bug voraus wieder in die Tiefe zu stürzen.“2 Abgesehen davon, dass „and saturate us with salt water“ überhaupt nicht übersetzt wurde, punktet das englische Original mit atemloser Wortfolge und bildhafterer Wortwahl insbesondere mit „seemed to rise almost to the perpendicular“. „perpendicular“ könnte zwar mit „Lotrechte“ übersetzt werden, wäre in diesem Kontext jedoch ungewöhnlich. Die englische Sprache ist oft zwangloser mit Vokabeln und bringt mit „perpendicular“ mehr Bewegung in den Sinn, da dieses Wort Bilder im Umfeld eines Perpendikels eröffnet, Bilder eines vom Sturm erfassten Bootes, das einem Pendel gleich auf- und abgeht.

1 Robert Harris, „Dictator“, Arrow Books, London, 2016.

2 Robert Harris, „Dictator“, Wilhelm Heyne Verlag, München, 2017.

Lektorat Oliver Krull

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