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16.11.2022. Vielen Dank an meine Leser:innen für das Feedback zu meinem Oktoberbeitrag Wirtschafts- und Werbelektorat. Ich freue mich, dass ich zum Verständnis der Arbeit von Lektor:innen und meines Anspruchs beitragen konnte.

Die Reaktionen zeigen zum einen, wie sehr noch von einem Lektor ausgegangen wird, der als Sprachhüter quasi ex cathedra über das geschriebene Wort urteilt. Die Flexibilität, die Lektor:innen im Umgang mit Sprachstilen, Intentionen der Autor:innen, dem Wording und der anvisierten Zielgruppe haben sollten, war vielen nicht bewusst. Zum anderen habe ich dazu beigetragen, die Werbesprache ein wenig aus der Schmuddelecke hervorzuholen und zu zeigen, dass in diesem Bereich mit viel Verve und analytisch-taktischem Denken daran gearbeitet wird, mit Worten größtmögliche Wirkung und Reichweite zu erzielen.

Gefragt wurde ich, wo meine Grenzen im Einsatz für Werbung liegen. Abgesehen davon, dass der Umfang meines Lektorats für reine Werbetexte nur zwischen zehn und zwanzig Prozent liegt, würde ich jedwede Schriften ablehnen, die undemokratische, diskriminierende oder bellizistische Ziele verfolgen. Jedoch darf es auch einmal provokant sein. Ich erinnere mich an eine Diskussion im Rahmen meiner Arbeit für das Buch „Stellenwert“ über die Geschichte des Plakats in der Schweiz. Dazu trug ich eine Fotografie bei, die ich 2012 auf einem Berliner U-Bahnhof aufgenommen hatte. An der Wand hinter den Gleisen hing das Plakat eines Bestattungsunternehmens, in großen schwarzen Lettern stand darauf: „Kommen Sie doch näher!“ – In der Schweizer Redaktion wurde das einhellig als geschmacklos empfunden; das Bild wurde dennoch in das Buch aufgenommen, als Negativbeispiel. In Berlin kam diese Art Werbung zwar nicht durchweg, aber weitaus besser an. Ob dies nun an der Berliner Ruppigkeit oder größeren Offenheit für schwarzen Humor liegt: Gute Lektor:innen beachten auch kulturelle Unterschiede.

Lektorat Oliver Krull