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Gendern, 5. Teil

15.03.2021. Meine Ausführungen zum Gendern im Januar greife ich diesen Monat schon wieder auf, weil mich zahlreiche E-Mails mit Kommentaren und Bitten um Empfehlungen erreichten. Eine Freundin leitete mir den Artikel „Eine Frage der Endung“ aus DER ZEIT vom 21. Januar 2021 weiter. Der Schriftsteller, Regisseur und Übersetzer Eugen Ruge berichtet von seinen Erfahrungen mit dem Gendern und stellt sich die Frage: „… müssen wir wirklich die Sprache verändern, damit das Leben besser wird?“ – Ich bin mit globalen Ansprüchen zurückhaltend und schaue als Lektor, dass Autor:innen ihre Intention in der Sprache wiederfinden und die anvisierte Zielgruppe erreicht wird. Und das wird sie am besten, wenn sie über das Medium, die Sprache nicht stolpert und sich nicht durch Satzungetüme kämpfen muss. Die Autorin oder der Autor muss die Arbeit gehabt haben. Ich unterstütze diese Arbeit, indem ich darauf aufmerksam mache, wenn ein Gedanke zwar gedacht, aber noch nicht im Text angekommen ist. Oder sobald unklar, nicht eindeutig formuliert ist, der treffende Ausdruck fehlt, die Zielgruppe gar nicht oder nur zum Teil angesprochen ist.

Hinsichtlich Gendern muss die Lösung nicht die so oft (wie auch im oben genannten Artikel) angeprangerte Hässlichkeit sein. Oft geht es um Klarstellung. Mich wies ein Wirtschaftsredakteur an, alle Berufsbezeichnungen in seinem Artikel männlich wiederzugeben. So hätte stehen sollen: Der Delegierte und seine Sekretäre bereiteten für die Versammlung … Im Artikel gab es eine Abbildung: der Delegierte mit seinen vier Mitarbeiterinnen. Somit war auch der hartleibige Redakteur zu überzeugen, Sekretärinnen zu schreiben. Freilich geht es nicht immer so eindeutig; doch mit etwas Kreativität, die die deutsche Sprache bereithält, muss nicht vorschnell das Argument der Hässlichkeit bedient werden, um dem vermeintlichen Gespenst Gendergerechtigkeit zu begegnen. Eine Kundin beispielsweise war es leid, immer „meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ zu schreiben, und ganz glücklich, als ich ihr vorschlug, beim Gendern nicht ständig Political Correctness im Kopf zu haben und über den Teller zu blicken. In ihrem Fall passte „mein Team“ weitaus besser.

Lektorat Oliver Krull