16.06.2025. Es gibt lange Sätze, die über eine Buchseite hinausreichen, in juristischen Schriftsätzen nicht weniger als in philosophischen Schriften. Schon in der Antike kannte man Satzperioden, das heißt dem Wortsinne nach einen Umlauf, der erst dann abgeschlossen war, sobald das letzte Wort gesetzt war. Dies verweist schon auf den Unterschied zu bloßen Aneinanderreihungen – grob gesagt im Stile von „und dann stellte sich heraus, dass … und dann konnte …“ –, die leicht in Einzelsätze aufgelöst werden können.
In Perioden wird ein Gedankengang verfolgt. Cicero kommt einem in den Sinn, später Kant, unter den Literaten Thomas Mann und viele andere. Doch auch Frauen weben wunderbare Wortteppiche, zum Beispiel Gisela Elsner in einem Brief von 1986: „Der mörderischen, nihilistischen Anarchie des Imperialismus, der immer deutlicher einen dritten Weltkrieg anpeilt, setzen die außerparlamentarisch revoluzzernden, auf die schiefe Bahn geratenen Kleinbürgersöhne, Bürgersöhne, Künstler und Intellektuellen sowie die heimatlosen Linken, die bislang in einer nur minimalen Weise Kontakt zur Gewerkschaftsbewegung und zur Arbeiterklasse erreichen konnten und deshalb, einschließlich der kleinbürgerlich-pazifistischen Friedensbewegung, zur Erfolgslosigkeit determiniert sind, die gedanklichen Schwachstellen des Anarchismus entgegen.“
Diesen Wortteppich werde ich im September-Beitrag in seine Einzelteile zerlegen, den Aufbau erklären und auf die Wortwahl eingehen.
Erfahrenen Lektoren und Lektorinnen ist das Zerlegen von Sätzen in Fleisch und Blut übergegangen, um rasch mögliche Schwachstellen erkennen und benennen zu können.
Lektorat Oliver Krull