Dezember 2017. Eine Freundin – von Beruf Ärztin – fragte mich neulich, wie es bei Lektoren mit dem Nähe-Distanz-Verhältnis zu den Inhalten ihrer Arbeit aussehe. Ein Vergleich zu der Verantwortung, die eine Ärztin, ein Arzt dem menschlichen Leben gegenüber hat, kann ein Lektor natürlich nicht aufstellen. Dennoch können Worte gefährlich werden, ein Sachverhalt durch eine unschlüssige Argumentation ins falsche Licht geraten oder der Text schlichtweg an der Zielgruppe vorbeigehen. Sind es nicht gerade Kommandozeilen, die für ein Softwarehandbuch systematisiert werden sollen, erfordert jede Textsorte eine meist auf die Zielgruppe gerichtete Empathie. Es sollte der Lektorin, dem Lektor möglich sein, sich in die jeweilige Zielgruppe hineinzuversetzen und vor Augen zu führen, wie die Intention, die mit dem Text beabsichtigt ist, bei dieser Zielgruppe besonders nachhaltig ankommt. Die Lektorin, der Lektor darf sich auf der anderen Seite allerdings nicht von dem Text verführen lassen in der Weise, dass sie oder er – zum Beispiel wegen einer persönlichen Vorliebe für ein Thema – Aspekte eines Artikels überbewertet, Satzkonstruktionen vorzieht, die bei neutralerer Betrachtung als tendenziös angesehen werden könnten. Die Distanz zum Text muss also genauso bewahrt bleiben, wie die Scheu vor der gedanklichen Durchdringung der Inhalte abzulegen ist.
Lektorat Oliver Krull